In dem Roman „Yellowface“ der Autorin Rebecca F. Kuang geht es zunächst um zwei oberflächlich befreundete Buchautorinnen, June und Athena, die zusammen studiert haben und sich nun auf dem Buchmarkt zu behaupten versuchen. Beide haben ein Debüt veröffentlicht. Athena jedoch gelingt scheinbar mühelos direkt der große Wurf mit lukrativen Verträgen und hochpreisenden Kritiken. Junes Buch fristet dagegen eher ein Schattendasein.
June fühlt sich von der ganzen Welt benachteiligt behandelt und blickt voller Neid auf die Erfolge ihrer Kollegin. Dennoch treffen sich die beiden ab und an, bei einem solchen Treffen kommt es nach reichlich Alkohol zu einem tragischen Unfall und Athena stirbt vor Junes Augen.
Trotz des Schocks ist June aber geistesgegenwärtig genug, den fertigen Buchentwurf zu Athenas neuestem Roman einzustecken. Und diesen mit harter Arbeit auszufeilen, umzuformulieren und abzuschließen. Und schließlich an einen Verlag zu verkaufen, wohlgemerkt unter ihrem eigenen Namen. Das Buch hat unheimlichen Erfolg, June wird hoch gehypt, jedoch ist stetig die Angst im Nacken, dass jemand die Wahrheit über den Urheber des Buches herausfinden könnte.
Der Roman „Yellowface“ handelt im Grunde genommen nur von June. Nach einem knappen Beginn, in dem die Eifersucht von June auf Athena schon deutlich wird, kommt es recht schnell zum tragischen Tod Athenas, Und ab diesem Moment geht es um die Gefühls- und Gedankenwelt von June.
Schon als Kind mit Angststörungen behandelt, verliert sich June ganz im Geltungsbedürfnis von social media. Sie will unbedingt und zu jedem Preis gemocht werden und Erfolg haben. Dabei macht sie sich so abhängig von den Bewertungen einer weniger im Internet, dass sie bei schlechten Kritiken am Rande des Zusammenbruchs steht.
Inhaltlich geht es um viel mehr. Da ist eine unbarmherzige Buchindustrie, die durch viel Geld in der Hand hat, welches Buch bzw. welchen Autor sie pushen wollen, und wem sie keine Chance geben. Dabei fällt in die Kriterien vor allem: wie lässt sich das ganze gut vermarkten, passt es in den aktuellen Ruf nach Diversität? Und so wird aus dem Hippienamen Juniper Song Hayward zur Veröffentlichung eines Romans über chinesische Arbeiter im ersten Weltkrieg eben Juniper Song.
Niemand behauptet, die Autorin sei Asiatin, aber was die Käufer sich denken, dafür kann ja der Verlag nichts. Komischer Zufall? Es entspinnt sich weiter eine Debatte über kulturelle Aneignung, culture canceling und Rassismus im allgemeinen. Vor allem ausgetragen auf diversen Plattformen im Internet.
Man kann schön sehen, dass June sich unter dem enormen Druck wandelt, von anfänglicher Skepsis über ihr eigenes Verhalten über Verteidigung hin zu offenem Kampf, voller Selbstzweifel und beginnender Paranoia bei der steig wachesenden Gier nach „likes“. Dabei ist sie als Protogonistin ziemlich unsympathisch. Dennoch fühlt man ihren Schmerz und ihre Machtlosigkeit über Nachrichten von „hatern“ mit Rassismus- und Plagiatsvorwürfen bis hin zu Morddrohungen recht gut mit.
Geschrieben ist es in sehr leichter Wortart, wobei sich einige Formulierungen oft wiederholten, dies ist allerdings vielleicht auch zu einem Teil der Übersetzung geschuldet. Insgesamt ist es für mich ein Buch mit wichtigen Botschaften, das durchaus zum Nachdenken anregt. Mich persönlich hat der Aufbau des Buches nicht ganz überzeugt. Seitenweise das Auseinandersetzen mit Twitternachrichten, die Gedanken von June darüber, das immer wiederkehrende Abwägen „antworten – ja oder nein“ empfand ich als sehr langatmig und teils einfach sperrig und langweilig. Die Handlung selber findet eher im Hintergrund statt.
Interessant fand ich die Einblicke in die Buchindustrie, und wie öffentliche Meinung beeinflusst wird. Die hochlobenden Kritiken auf dem Bucheinband von Stephen King und der Time sieht man nach Lesen des Buches nochmal mit anderen Augen. Gedanken machen sollte sich jeder selber. Denn neben der großen Debatte um kulturelle Aneignung geht es eben auch um den eigenen Selbstwert, den man immer mehr nicht aus seinem Schaffen sondern aus der Bewertung durch andere zieht. Und mir ist durchaus bewusst, dass ich mit dieser Rezension genauso dieses Feld bediene.
Es bleiben am Ende die Fragen: Was machen Kritiken mit einem, vor allem so anonym wie auf social media? Wie verändern sie eine Person? Und wie verändern sie dadurch die Kunst an sich?
Meine Meinung: 8 von 10 Punkten