Mit dem Fotografen Tim Hackemack konnte ich kürzlich ein Interview machen. Wir haben über Punkrock, seinem Buch Yesterday‘s Kids und dem neuesten Werk More Than Fashion, ein Buch über Kutten, gesprochen. Natürlich auch über die Szene, Musik und anderen Dingen. Viel Spaß beim Interview. — Das Interview ist eine Neuveröffentlichung; ursprünglich 2018 erschienen. —
Hallo Tim. Bitte stell Dich unseren Lesern doch einmal vor und erzähl was Du machst.
Mein Name ist Tim Hackemack, ich bin 39 Jahre alt. Aufgewachsen in Münster habe ich mit Beginn der Pubertät „Viva la Muerte“ von Slime in die Hand bekommen. Das hat mir den Stoß in die richtige Richtung gegeben und ab dem Zeitpunkt war ich immer irgendwie mit der Punkszene verbunden. Ich war früher bei Weitem nicht so aktiv wie heute. Die ersten Jahre war ich fast nur Konsument. Dann habe ich angefangen Schlagzeug zu lernen und habe in ein Paar kleinen Bands gespielt. Dadurch habe ich dann auch mal ein Konzert organisiert. Mehr war da aber auch nicht. Die Musik war mir immer wichtig und Konzerte habe ich besucht, aber die fanden in der Fülle auch nicht statt. Erst viel später, ca. 2004 habe ich eine neue Band, The Radiolas, gegründet und bin als Sänger aktiv geworden. Singen konnte und kann ich genau so gut wie Schlagzeug spielen, was die Sache nicht einfacher machte. Wir sind aber unseren Weg gegangen, komplett erfolglos natürlich. 2008 haben wir uns dann mit El Bosso zusammengetan und El Bosso meets the Skadiolas gegründet. Den Gesangspart hat Bosso für mich übernommen, was auch gut so war. Mit ihm haben wir zwei Alben und ein paar Singles aufgenommen. Die Arbeit mit den Bands hat dazu geführt, dass ich irgendwann angefangen habe Konzerte zu organisieren, erst nur für die eigene Band, dann auch für fremde Bands. So konnte ich auch einen kleinen Beitrag zur Punkszene leisten. Mit der Fotografie begann ich danach. Heute habe ich eine tolle Familie und
Du warst und bist nicht nur jahrelang, eher jahrzehntelang, in der Punk-Szene unterwegs. Wie sehr bist Du noch darin involviert? Was hat sich geändert gegenüber früher? Und waren die Veränderungen in dieser Form absehbar?
Diese Frage kann ich natürlich nur sehr subjektiv beantworten. Bis letztes Jahr habe ich mit Freunden Konzerte organisiert und war recht viel unterwegs, für jemanden mit zwei Kindern, die er auch mal sehen will. Die letzten Monate hatte ich viel zu tun und dann war ich auch nicht auf Shows. So geht es immer hin und her. Es ist mir aber wichtig trotzdem noch was mitzukriegen also hole ich mir Fanzines und besuche gerne mal den Plattenladen um zu stöbern. Es gibt heute viel mehr Bands und somit ist es schwieriger die guten Alben zu finden. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die nur die Musik ihrer Jugend und der guten alten Zeit sammeln. Dafür gibt es viel zu viel gute neue Bands. Es finden auch deutlich mehr Konzerte statt und für viele Bands ist es einfacher auf Tour zu gehen. Vor zwei Jahren habe ich zwei Punkbands aus Süd-Korea gesehen. Das wäre in den 90ern nicht passiert. So wird alles internationaler. Es gibt auch viel mehr gute Labels, die wissen was sie tun und Booker, die auch mal was wagen. Das finde ich toll. In einer gewissen Weise ist die Szene auch offener geworden. Auf vielen Punkfestivals treten jetzt Hip-Hop Bands auf, die rein musikalisch absolut nicht reinpassen, aber von der Attitüde her passen. Das ist jetzt absolut nicht meine Sache, aber zum Glück weiß ich, dass Punkfestivals 2018 auch nicht für Familienväter aus Vororten veranstaltet werden, sondern für die Jugend und die hat nun mal Recht (so wie wir damals immer Recht hatten). Absehbar ist das natürlich immer bis zu einem gewissen Grad. Das heißt aber nicht, dass ich Prognosen für die Zukunft aufstelle.
Stellt Dich die Szene heute noch zufrieden? Falls ja, wieso?, Falls nicht, warum nicht und was sollte geändert werden?
Ich habe meine Freunde und Bekannte und in diesem Personenkreis bin ich zufrieden. Heutzutage reicht mir das als Szene. Ich versuche, darüber hinaus keine Ansprüche zu haben und keine Forderungen zu stellen. Punk sollte frei sein. Wer Regeln braucht, kann Steuerberater werden. Sicher würde ich einiges ändern, wenn ich der König vom Punkland wäre ;-). Es würde aber auch nicht lange dauern, bis die Leute gegen meinen Schwachsinn (zurecht) revoltieren und meinen Kopf auf einem Stock durch die Straßen tragen.
Yesterday‘s Kids ist ein tolles, interessantes Buch, das ich gerne gelesen habe. Es heißt, das einige Protagonisten von Beginn an oder im Nachhinein nicht mehr aufgenommen werden wollten. Welche Gründe gab es denn für diese Entscheidungen?
Vielen Dank, das ist eine interessante Frage. Es gab durchaus einige Personen, die von Anfang an kein Interesse hatten. Zum Teil lag es wohl daran, dass es im Punk eigentlich keinen Personen-Kult geben sollte. Andere werden aber auch einfach keinen Bock auf mich oder das Projekt gehabt haben. Bei einem Protagonisten gab es ziemliche Unstimmigkeiten, woraufhin er ausgestiegen ist. Nach Erscheinen des Buches hat mich niemand kontaktiert. Das heißt aber natürlich nicht, dass alle mit dem Ergebnis glücklich sind.
Gibt es Begegnungen aus dieser Zeit, die Dich überrascht haben? Zum Beispiel ein langjährige Punk, der jetzt bei der Polizei ist, Beamtenstatus hat oder ähnliches? Also, nicht, dass ich das den Personen nicht zutrauen würde, ich spiele eher darauf an, was von der früheren Abneigung gegen Spießertum übrig geblieben ist.
Im Buch gibt es keine Polizisten. Das hätte ich aber witzig gefunden. Ansonsten ist es schwierig für mich zu benennen wo Spießertum anfängt. Viele der Personen leben recht geordnete leben. Man ist ja auch dazu gezwungen, wenn man Kinder hat. Trotzdem schaffen sie es in ihrem Leben noch Freiraum für Punk zu schaffen. Ich glaube, dass, wenn man mit der Realität vertraut ist, man nicht allzu schnell überrascht wird. Man kann nur schwer für immer das Leben führen, das man mit 16 geführt hat.
Die verschiedenen Charaktere sind auf jeden Fall wichtig in einer Szene. Aber eben auch das Luft lassen zum Atmen. Das heißt, jemand der vielleicht keine bunten Haare, Iro, Spikes, Nieten etc. hat, sollte dort auch seinen Platz finden, wenn die Gedanken „die richtigen“ sind. Wie siehst Du das?
Es sollte allen völlig scheißegal sein, wie jemand aussieht. Es kommt doch darauf an, was die Person macht und wie sie sich verhält. Genau sowenig sollte es eine Gesinnungspolizei geben. Wenn jemand kein Rassist ist und grundsätzlich allen anderen Menschen die Freiheit lässt, die er oder sie für sich selbst braucht, haben wir schon viel erreicht.
Wenn man auf die verlinkte Website (vom Hirnkost Verlag zu Yesterdayskids.de) folgt, bekommt man Information über The Radiolas. Was hat es damit auf sich?
Ich habe die Seite einfach offline genommen, weil mich nicht mehr richtig um sie kümmern konnte. Das wird sich bald hoffentlich wieder ändern. Die Seite wurde dann automatisch auf die Homepage meiner früheren Band verlinkt.
Letztens hat ja der 1-Tag-Plattenladen in Münster stattgefunden. Was genau macht ihr dort? Wer ist eigentlich „ihr“ und warum macht ihr das?
Gestartet wurde der Plattenladen für einen Tag von mir im Jahre 2015. Damals sah man überall die Bilder des im Mittelmeer ertrunkenen Alan Kurdi. Mein Sohn Emil ist fast genauso alt wie Alan und diese Bilder ließen mich nicht los. Also habe ich kurzfristig etwas für die zivilen Seenotretter von Sea-Watch organisieren wollen. Damit in Zukunft nicht mehr so viele Menschen im Mittelmeer ertrinken müssen, die von den europäischen Regierungen im Stich gelassen wurden. Mein Kumpel Ole Plogstedt fand die Idee gut und hat mir geholfen. So ist damals eine Spendensumme von knapp 12.000 € zusammengekommen. 2016 haben wir dann einen Buchladen für einen Tag gemacht und nach einem Aussetzer in 2017 fand dieses Jahr wieder der Plattenladen statt. Knapp 7.700€ haben Sea-Watch eingenommen. Ich mache das, weil ich Probleme pragmatisch angehen will. Wir müssen in Deutschland intensiv über die Asylpolitik reden und vernünftige Lösungen finden. Ein Grundgedanke muss aber sein, und ich bin mir sicher, dass mir da annähernd 95% der Deutschen zustimmen, dass niemand stirbt. Dafür setze ich mich ein. Unterlassene Hilfeleistung kann nicht die Lösung dieses Problems sein.
Im November soll More Than Fashion erscheinen. Dort sind Punk-Kutten im Fokus – oder täuscht das? Erscheint es wieder beim gleichen Verlag? Was kannst Du uns noch darüber erzählen?
More than Fashion wird Ende November auch wieder im Hirnkost-Verlag erscheinen. Ich freue mich sehr darauf, es endlich in den Händen halten zu können. Zwei Jahre hat es dieses mal gedauert. Im Buch geht es um Punkkutten von Personen weltweit, wobei hauptsächlich aus Deutschland, und ihre Geschichten und da haben einige Jacken/Jackenträger wirklich viel zu erzählen. Diese Jacken sind DIY und das ist wohl der Ur-Gedanke des Punk. Über 100 habe ich fotografiert und zumindest mir persönlich gefällt das Ergebnis. Mal sehen, was die Rezensenten sagen.
Außerdem heißt es, dass Du ziemlich direkt nach Yesterday‘s Kids mit zwei Büchern angefangen hast. More Than Fashion ist das eine, magst Du schon etwas über das andere erzählen?
Ich arbeite momentan zeitgleich an drei Büchern. Natürlich aber nicht mit der gleichen Intensität. Für mein nächstes Buch werde ich Bands auf Tour begleiten und über das Tour-Leben von ganz kleinen bis relativ großen Bands reden. Dabei kann ich dann endlich auch mal Live-Fotos in ein Buch bringen. Was die anderen Bücher angeht, feile ich noch an der Umsetzung. Außerdem muss der Verlag ja auch immer zu stimmen.
Denkst Du das man jemals „unpolitisch“ sein konnte oder noch sein kann, wie es beispielsweise einige Bands verlauten lassen?
Bevor man diese Frage beantworten kann, muss man ja erst die Frage „Was ist Politik?“ beantworten. Wenn man jetzt sieht, was für Auswirkungen jede kleinste private Entscheidung hat, z.B. welches Auto man kauft, welche Lebensmittel man kauft, ob man Fleisch isst oder nicht, ist man geneigt dazu „Nein“ zu sagen. In der Form gibt es keine Form von „unpolitischem“ Dasein. Wenn man Politik aber einmal auf die Arbeit von Politikern bezieht, ist das sehr wohl möglich. Genauso wie jeder das Recht auf eine eigene Meinung hat, hat man auch das Recht kein Interesse an Politik zu haben. Das gilt auch für Bands. Dort ist es ja noch verständlicher, denn bei mehreren Personen ist es schwierig einen Konsens zu finden. Ich persönlich bilde mich selber und brauche zu den meisten Themen keine Bestätigung meiner Meinung durch Bands. Grundsätzlich habe ich aber natürlich die selben Ansprüche an Bands wie an Menschen, keine Rassisten, etc.
77 Menschen in Yesterday‘s Kids, die Punk waren und noch sind. Denkst Du auch über eine Fortsetzung nach mit Material, was vielleicht noch übrigen geblieben ist und dort nicht passte beziehungsweise den Rahmen sprengt? 15.000 Kilometer ist eine richtige Entfernung, es wäre schade darum – oder wie siehst Du das?
Ich möchte in knapp acht Jahren noch einmal die Personen besuchen und eine kleine Fortsetzung machen. Darüber hinaus wird es ja eventuell eine dritte oder sogar mehr Auflagen geben, in der ich dann auch wieder eine Kleinigkeit ändern werde. Mehr habe ich aber nicht geplant. Ich wurde von vielen Personen angeschrieben und gefragt, ob es einen zweiten Teil geben wird. Wenn es jemand machen will, kann er das ja tun. Ich finde, es gibt noch so viele interessante Themen, die ich auch behandeln/fotografieren will.
Vielen Dank für das Interview. Hier ist Platz für Grüße, Videos, Trailer, Links und Co.
Ich halte es da mit Emscherkurve 77: Keine Freunde, keine Grüße!