20 ausverkaufte Termine bei einer Lesereise ist schon selten. Wer kommt denn da? Ein Superstar! Der die ärzte-Schlagzeuger Bela B. Felsenheimer veröffentlichte kürzlich seinen Debütroman Scharnow. Er selbst ist nicht nur Musiker, sondern auch Schauspieler, Synchronsprecher, Vorleser, ehemaliger Verleger und und und.
Sein Faible für Abgedrehtes kommt hier gut zur Geltung. Ebenso seine lang erarbeitete Expertise diesbezüglich und bei anderen Dinge. Das ist auch nicht übertrieben, denn wenn man es schafft Verschwörungstheorien, Superhelden-Mythos, kleinbürgerliches Leben in einer fiktiven ostdeutschen Örtchen in Brandenburg, Coming-of-Age-Drama und Spannung in eine Geschichte unterzubringen. Die dazu mehrere Stränge hat, immer wieder unterbrochen wird, dann gehört dazu schon eine gehörige Portion Wissen dazu. Wissen, wie das alles funktioniert, welche Mechanismen im Rezipienten in Gang gesetzt werden. Auf gut Glück hätte das nicht funktioniert.
Im Plattenbau wird meist aneinander vorbei gelebt. Die lebende Alarmanlage, eine betagte Dame, die irgendwie alles mitbekommt – man kennt das sicherlich – ist genauso vorhanden wie eine WG bestehend aus verschiedenen Personen. Pakt der Glücklichen. Die haben sogar ein Manifest. Einen discounter‘esken Supermarkt gibt es dort ebenfalls. Ach, und einen Superheld, den man nach 25 Jahren sieht, weil er die Nerven verliert (Krebsdiagnose) und einige Schornsteine zertrümmert. Und viele andere verschiedene Charaktere vom Manga-Mädchen über alleinerziehende Porno-Darstellerin über Jugendliche bis hin zu Erwachsene verschiedener Couleur.
Thematisiert wird – neben der vielen Leben in besagter WG – auch das ein oder andere Leben im Plattenbau, teils etwas genauer, teils weniger genau. Aber immer mit genug Informationen, um die Story am Leben zu halten und verstehen zu können, allerdings ohne zu überladen. Aber auch Alltagsrassismus, sozialkritische Elemente kommen also ebenso vor.
Wem das alles noch nicht genug ist, dem sei gesagt: es gibt noch zwei schwule Eichhörnchen. Und einige amüsant-verwirrende Twists. Teilweise ist es so absurd, dass man unweigerlich in der Bahn lachen muss. Ich spreche aus Erfahrung. Ein rundum gelungener Debütroman von Bela B. Felsenheimer und dem Titel Scharnow. Ich wäre ja für einen zweiten, dritten, vierten, … Teil. Da kann man noch ordentlich etwas daraus machen.
(Rezension erschien erstmals 2019; ab sofort wieder hier online.)