Deutsche Übersetzung nachträglich von Oliver Fehns Website übernommen, mit freundlicher Genehmigung von Oliver Fehn.
Erzähl ein wenig mehr über dich und gib den Lesern einen kurzen Überblick über dein Schaffen.
Ich bin in Oberfranken geboren und aufgewachsen – einer ländlichen Gegend, wo die Leute relativ borniert sind. Da ich ein ziemlich extravaganter Typ war, blieb ich dort immer ein Außenseiter. Schon als Teenager veröffentlichte ich meine ersten Geschichten in namhaften Magazinen, mit 22 meinen ersten Gedichtband. Außer Schreiben und Literatur hatte ich nur wenige Interessen. Im Jahr 2001 erschien „Satans Handbuch“. Die meisten denken, es wäre ein reines Sachbuch, aber natürlich ist es auch ein Stück Literatur. Ich habe darauf ebenso viel kompositorische Mühe verwandt wie auf meine Romane und Kurzgeschichten.
Ist das nicht üblich, daß man sich für Sachbücher ebenso viel Mühe gibt wie für Belletristik?
Ich sagte kompositorische Mühe. Dazu zählen Wortwahl, Stil, das Kreieren von Emotionen und sämtliche Techniken des professionellen Schreibens. Ich kenne viele Sachbücher, die einfach nur langweilig sind, weil ihre Verfasser nichts von den Gesetzen des Schreibens verstehen.
Kompositorische Mühe – kannst du dafür Beispiele nennen?
Ach je, es ist das, womit ich wahrscheinlich eine Menge Zeit vergeude. Manchmal grüble ich stundenlang über das treffende Wort nach. Ich schreibe und schreibe neu, lese und lese neu. Nehmen wir meinen Roman: Ich habe ihn sieben Mal überarbeitet. Aber das ist nicht nur ein persönlicher Spleen von mir. Erstfassungen sind nie gut. Das ist keine subjektive Meinung, sondern ein Gesetz.
Du bist bekennender Satanist, oder? Kannst du uns darüber etwas sagen? Decken sich deine Ansichten mit denen der anderen Satanisten, oder gibt es da Unterschiede?
Zunächst einmal: Die meisten haben keine Ahnung, was Satanismus wirklich ist. Sie könnten Anton LaVeys Satanic Bible lesen, dann wüßten sie mehr. Leider informieren sie sich lieber aus Fernseh-Talkshows und Boulevardblättern. Meine erste Begegnung mit dem Satanismus fand in den Neunzigern statt, als ich Kenneth Grahames „Wind in den Weiden“ las. Ich wollte wissen, wer dieser mysteriöse „Pfeifer vor dem Tor zur Dämmerung“ wirklich ist – und fand schnell heraus, es war kein Geringerer als Satan. Aber Satan ist nur eine Metapher, ein Symbol. Satanisten glauben nicht an Teufel und Dämonen. Als Satanist lebe ich nach den Regeln der „Satanischen Bibel“, doch das tue ich instinktiv, auf Grund meiner Wesensart. Als ich zum ersten Mal LaVey las, wurde mir klar, daß ich schon immer nach dieser Philosophie gelebt hatte. Es war keine Konversion oder so – nur eine Entdeckung. Vielleicht ist es das, was Erleuchtung wirklich heißt: Erkenne, wer du bist, und glaube nicht an Dinge, die deiner Natur zuwiderlaufen.
Vor kurzem hast du „Sakrischleck“ veröffentlicht, die Parodie auf einen bekannten Bestseller. Sag unseren Lesern doch, worum es da geht, und wie du dazu kamst.
Jeder Schriftsteller ist natürlich auch Geschäftsmann. Und Satanisten wissen immer, wie sie aktuelle Strömungen für sich nutzen können. Als der Medienrummel um Dan Browns „Da Vinci Code“ seinen Zenit erreicht hatte, fragte mich der Schweizer Verleger Martin Frischknecht, ob ich mir nicht vorstellen könnte, ein satirisches Buch über Verschwörungstheorien zu schreiben. Ich versuchte es einfach. Mein Plot handelte von fünf Gummibärchen, die sämtliche religiösen und okkulten Geheimnisse kennen und zum Schluß auch noch die Weltformel entdecken – eine Satanische Botschaft übrigens, was aber unausgesprochen bleibt. Und der Knackpunkt ist: Die meisten Leser stimmen dieser „Formel“ zu; sie lächeln und nicken, fühlen sich darin bestätigt, wissen aber nicht, daß es sich um das Kernstück des Satanismus handelt. So beweist „Sakrischleck“ auf raffinierte Weise, daß die wahre Natur des Menschen Satanisch ist.
Darf ich fragen, wie dein Buch sich verkauft?
Ich bin ganz zufrieden damit. In der Schweiz liegt es auf vielen Ladentischen aus, und in Deutschland – na gut, warten wir ein Weilchen. Natürlich lesen viele meinen Namen und denken: Oh, ein neues Buch über Satanismus. Womit sie im Grunde recht haben, aber wir wollten „Sakrischleck“ absichtlich nicht als Satanisches Buch präsentieren. Es ist für jeden gedacht, und ich kenne sogar Geistliche, die es mögen.
Wird es jemals ins Englische übersetzt werden?
Darauf habe ich keinen Einfluß. Kommt darauf an, ob ausländische Verlage interessiert sind.
Menschen, die süchtig nach Gummibärchen sind – ist die Idee von John M. Allegros „Jesuspilz-Theorie“ beeinflußt?
Eigentlich nicht. Was ich sagen wollte, ist: Menschen lieben die Süßigkeiten des Daseins. Und die traditionellen Religionen wollen ihnen das madig machen und bieten dafür nur einen schwachen Ersatz. Das ist ein Kuhhandel, ein Fall von Betrug. Ich finde es weitaus schöner, meinen Freund zu küssen als den Leib Christi auf meiner Zunge zu spüren.
Ein weiteres Buch von dir ist im Oktober erschienen …
Ja, ein Roman mit dem Titel „Und möchte mit Fremden tanzen“. Er handelt von einem schwulen Jungen namens Vincent, der sich in seinen Schulfreund Marlon verliebt, einen heuchlerischen Egomanen. Auf der einen Seite ist Vincent abhängig von Marlons fadenscheinigen Liebesbeweisen; auf der anderen Seite kann auch Marlon ohne Vincents Vernarrtheit nicht leben. Aber es geht in dem Buch nicht nur um Abhängigkeit, sondern auch um Verstellung. Jeder der Romanfiguren verstellt sich auf irgendeine Weise oder täuscht sich und seine Mitmenschen. Es ist ein bezauberndes Buch, sehr aufregend und gefühlvoll, und bestimmt nicht nur für schwule Leser interessant.
Bei welchem Verlag ist es erschienen?
Bei Himmelstürmer, einem Hamburger Verlag, der sich auf schwule Literatur spezialisiert hat. Sie haben ein paar gute Autoren im Programm, wie Justin Skylark oder Simon Rhys Beck.
Wird es je ins Englische übersetzt werden?
Siehe oben, das weiß ich nicht. Wenn es ein Bestseller wird, vielleicht. Aber die Engländer und Amerikaner haben ihre eigenen schwulen Autoren.
Deine vorherigen Bücher handeln mehr oder weniger alle von Satanismus. Kannst du uns darüber etwas sagen? Würdest du das nochmal genauso machen?
Natürlich würde ich es genauso machen. Ich war der erste deutsche Autor, der sich zum Satanismus bekannte, und darauf bin ich stolz. Gut, Ingrid Meyer von „Second Sight Books“ hatte bereits Anton LaVeys Bücher übersetzt, aber ein deutsches Buch zum Thema gab es nicht. Inzwischen hat sich hierzulande eine kleine, aber feine „Satanische Gemeinschaft“ formiert, und daran bin ich nicht ganz unschuldig.
Wirst du weitere Bücher zum Thema Satanismus schreiben?
In meinen beiden Satanischen Büchern steht alles, was ich weitergeben wollte. Für ein drittes Buch besteht kein Bedarf. Aber natürlich schreibe ich weiterhin Satanische Essays zu speziellen Themen, und soeben habe ich die Arbeit an einer modernen Version von John Miltons „Paradise Lost“ abgeschlossen: der großen Geschichte von Gott und Satan und von dem, was wirklich in Eden geschah.
Eine „moderne Version“? Wie meinst du das?
Nun, Milton schrieb sein Buch im Jahre 1670 oder so. Es gibt nur wenige, die den Text wirklich verstehen. Doch der Plot ist super, und es wäre eine Verschwendung, würde Miltons Buch nur Staub in Bibliotheken ansetzen. Also habe ich versucht, die Geschichte in einfachen Worten zu erzählen. Und natürlich konnte ich es mir nicht verkneifen, ein paar Satanische Gags einzubauen.
Wie würdest du Satanismus definieren – für dich und ganz allgemein?
Für mich ist Satanismus die Religion des Lebens. Alle anderen Religionen sind Religionen des Todes, der Abstinenz, des Stumpfsinns. Ich bin Satanist, weil ich Teil jener Varieté bin, die sich Leben nennt, und es auch bleiben möchte. Die meisten Massenvergnügungen lassen mich zwar kalt, aber es gibt eine Menge anderer Dinge, an denen ich mich erfreue: Literatur. Kunst. Gute Filme. Leckeres Essen. Sex. Die Natur. Das Weltall. Nette und interessante Menschen. Diese Welt ist eine Schatztruhe an Freuden und Vergnügungen. Dafür lebe ich. Und das ist für mich Satanismus.
Eins deiner Bücher handelt vom Leben Jesu und seiner dunklen Seite. Es ist wissenschaftlich exakter als viele meinen. Kannst du uns darüber etwas sagen?
Ich fand es schon immer unerträglich, daß unsere Zivilisation sich auf einen Aberglauben stützt. Jesus ist ein Aberglaube. Das ganze Christentum ist es. Und das gleiche gilt für das Judentum, den Islam – alle Religionen sind Aberglauben. Was mich aber am meisten ärgert, ist jenes Gutmenschen-Gewäsch von einer angeblichen „philosophischen Erhabenheit“ in der „wahren Lehre“ des Nazareners. Was soll ich von einem jüdischen Guru halten, der mich lehren will, meine Feinde zu lieben? Hält er mich für krank? Ist Feindesliebe nicht ebenso paradox wie seine Freunde zu hassen? Und sieh mal, die große Masse nimmt diesen Mumpitz widerspruchlos hin. Gibt es ein besseres Mittel gegen Aberglauben als die Rolle Luzifers zu spielen? Luzifer steht für Erkenntnis, für Wissenschaft, für das Feuer, das unsere Köpfe erleuchtet. Aus diesem Grund hielt ich mich in meinem Buch strikt an Fakten und wissenschaftliche Beweise.
Welche tiefere Bedeutung steckt hinter dem Buch über das Leben Jesu und deinen Satanischen Büchern?
Meine Bücher sprechen für sich selbst. Wie gesagt, sehe ich in Ihnen mehr als reine Informationsquellen. Man sollte sie auch unter künstlerischen Gesichtspunkten beurteilen.
Du hast mal beim Radio gearbeitet. Würdest du das wieder tun?
Der Job als Radio-DJ hat Spaß gemacht, aber das waren andere Zeiten. Ich wurde dafür bezahlt, den Rotzlöffel zu mimen, aber nach fünf Jahren hast du so etwas satt. Das Radio von heute spricht ohnehin keine intelligenten Hörer mehr an.
Hat Satanismus dabei eine Rolle gespielt? Und hat er was damit zu tun, daß du schwul bist?
Ich kann mich an einen bösen Streich erinnern, den ich meinen Hörern spielte: Es war Himmelfahrtstag, aber ich sprach während meiner Sendung fortwährend von „Höllenfahrt“ und spielte drei Stunden lang nur gruslige und anstößige Songs – Rammstein, Marilyn Manson, solche Sachen. Dann sprach ich über Satan und redete verrücktes Zeug. Ich weiß, das ist kindisch, aber es war Teil meines Satanischen Outings. Daß ich schwul bin, hat weder mit meinem Radiojob noch mit meinem Bekenntnis zum Satanismus zu tun. Es wußten immer alle darüber Bescheid. Ich kann mich an keine Zeit erinnern, zu der meine Homosexualität nicht jedem völlig klar war. Natürlich, in den Siebzigern, als ich ein Junge war, galt es als skandalös, sich als Homosexueller zu bekennen, aber das war mir schnuppe. Und obwohl meine Mitschüler mich als Bilderbuch-Schwuchtel betrachteten, stand ich meinen Mann wie jeder andere Junge.
Bekamst du Ärger, nachdem du deine Hörer so zum Narren gehalten hattest?
Ach was, ich tat das so oft, daß ich zum Schluß Narrenfreiheit hatte. Ganz im Ernst, ich sagte in meiner Sendung regelmäßig schockierende und skandalöse Sachen. Ich schreckte auch nicht vor Wörtern wie Ficken, Wichsen oder Votze zurück. In gewisser Weise war das Teil unseres Abkommens. Ein wohlerzogener Oliver wäre ein schlechter Oliver gewesen.
Es ist ja gar nicht schlecht, ein bißchen kindisch zu sein. Ich meine, die Natürlichkeit eines Kindes kann für einen Autor von großem Vorteil sein, oder?
Klar. Ich meine, einerseits bin ich ja im Umgang mit anderen wirklich diszipliniert und höflich. Ich wirke überhaupt nicht wie ein böser Junge, und ich hasse es, wenn andere sich Menschen gegenüber respektlos benehmen, die viel mehr auf dem Kasten haben als sie. Andererseits kann ich wirklich dreist sein. Ich glaube, ich habe ein gutes Auge für den Unterschied zwischen echtem Können und heißer Luft.
Du hast Theologie und Religionswissenschaft studiert. Hatte das Einfluß auf deine Entscheidung, Satanist zu werden?
Wie gesagt, es ist keine Entscheidung, sondern eine Entdeckung. Diese Entdeckung hatte mit meinem Studium nicht viel zu tun. Aber du weißt ja, nach dem Abitur muß man sich für ein passendes Studienfach entscheiden. Für Medizin war mein Schnitt nicht gut genug. Jura war mir zu langweilig. Psychologie wäre eine Option gewesen, aber da ich mich schon immer für Rituale, Zeremonien und Kulte interessiert hatte, wählte ich eben die religiöse Schiene. Aber ich tat es echt nur aus Neugier. Der typische Theologiestudent war ich nicht, im Gegenteil: Neben diesen asketischen Sonderlingen wirkte ich wie ein muskelbepackter Junge vom Land. Viel entscheidender war meine Vorliebe für dunkle, furchteinflößende Dinge. Ich liebte Vampirgeschichten, Spukhäuser, Horrorfilme, nächtliches Treiben. Mit 20 oder so hatte ich einmal nach Mitternacht Sex auf einem Grabstein. Echt eindrucksvoll, muß ich sagen.
Du warst also schwul und dazu noch Satanist. Handelt man sich damit nicht ständig Ärger ein?
Ehrlich gesagt, nein. Die Leute merkten vermutlich rasch, daß ich kein gutes Opfer hergab. Natürlich bewarb ich mich nie um Jobs oder Positionen, wo mein Schwulsein oder mein Bekenntnis zum Satanismus ein Hindernis gewesen wären. Mein Grundsatz lautete: Zeig ihnen, wie du wirklich bist. Zeig ihnen, daß Satanisten keine kinderfressenden Monster sind, und Schwule keine Weicheier. Wenn du dein wahres Gesicht zeigst und alle Leichen aus deinem Keller holst, die sich dort verbergen, kannst du sie einen nach dem anderen entwaffnen.
Du hast auch mal als Zauberkünstler gearbeitet, stimmt’s?
Oh, das war lustig, da muß ich etwas weiter ausholen. Ich sagte bereits, ich war ein begeisterter Jungautor, aber gleichzeitig war ich auch ein lebensbejahender und vergnügungssüchtiger junger Schwuler. Also legte ich mit Mitte zwanzig meinen Stift für ein paar Jahre zur Seite und frönte einem Leben aus Partys und Liebesaffären. Es war ein notwendiger Schritt; man begreift das Leben nur, indem man es lebt. Das waren meine Bohème-Tage, und Bohémiens sind, wie du weißt, fast immer pleite. Und da ich echt schnell und wendig bin, brachte ich mir ein paar Zaubertricks bei und führte sie in den Fußgängerzonen vor. Hat großen Spaß gemacht.
Was sind deine Lieblingsautoren in der deutschen und englischen Literatur?
Mal sehen … Thomas Mann gelang es sehr gut, den Geist einer bestimmten Ära einzufangen. Sein Sohn Klaus schrieb erstklassige Erzählungen über die Welt der Schwulen, allen voran „Der fromme Tanz“. Dann mag ich auch die Gedichte von Rilke, Trakl und Else Lasker-Schüler. Als Jugendlicher schwärmte ich für Hesse, aber inzwischen kann ich die meisten seiner Bücher nicht mehr lesen. Okay … Siegfried Lenz ist lesenswert, Heinrich Böll manchmal, während Günter Grass sicher eine Frage des Geschmacks ist – und ich spreche nicht von seiner Waffen-SS-Vergangenheit. Was zeitgenössische Autoren anbelangt, bin ich meistenteils enttäuscht. Zum Beispiel Sven Regener … ich mag ihn als Musiker echt gern, aber seien wir ehrlich, „Herr Lehmann“ ist ein Buch, das von gar nichts handelt. Da steckt nichts dahinter.
Wenn du Lust hast, kannst du den Leuten da draußen was übermitteln oder Grüße loswerden …
Eine Botschaft fürs Volk? Bestimmt nicht. Aber manchmal bekomme ich vielversprechende E-Mails von Leuten, die womöglich vielversprechende Leute sind, und komme nie zum Antworten. All denen möchte ich sagen: Denkt bitte nicht, ich wäre arrogant. Es ist nur Zeitmangel. Vielleicht packen wir’s anderswie und anderswo.
Vielen Dank, daß du so nett und mitteilsam warst und uns so viel über dich verraten hast.
Keine Ursache.