Der Autor Oliver Fehn stand mir Rede und Antwort in diesem Gespräch, das sowohl für ihn als auch für mich ein sehr besonderes Interview darstellt. Nach Erscheinen zweier neuer Bücher – nämlich einer Autobiographie mit dem Titel “Satans Hofnarr – Ein magisches Leben” sowie des Sachbuchs “Lehrstunden bei Luzifer” – hatte ich viele Fragen, und Oliver Fehns Antworten mögen manche seiner Leser überraschen.
Hallo, Oliver. Ich freue mich, wieder mal ein Interview mit dir führen zu dürfen. Du hast viele Neuigkeiten mitgebracht, darunter auch zwei vor kurzem neu erschienene Bücher. Magst du den Lesern etwas darüber erzählen?
Erst hat es mich ein wenig beunruhigt, dass die beiden Bücher fast gleichzeitig auf den Markt kamen. Aber es sind ja zwei völlig unterschiedliche Sachen. „Lehrstunden bei Luzifer“ ist so etwas wie die Mitschrift eines Magie-Kurses auf der Grundlage des Tarot, den ich im vergangenen Jahr hielt. Und „Satans Hofnarr“ ist meine Autobiographie.
Ist es nicht riskant, seine Autobiographie zu veröffentlichen, wenn man nicht gerade so bekannt ist wie Madonna oder Marilyn Manson?
Ein Freund fragte mich, nachdem er das Manuskript gelesen hatte: Meinst du, die Leute interessiert es wirklich, ob dir vor 35 Jahren zwei Mädels bei einem Rock-Festival Sperma aus dem Bauchnabel geschlürft haben? – Aber man kann die Quintessenz eines Lebens nicht erzählen, ohne das Leben selbst erzählt zu haben.
Du schreibst zu Beginn des Buches “Satans Hofnarr”, dass du es lange Zeit als albern empfunden hast, dir die Berufsbezeichnung Autor zu geben. Inwiefern albern? Mir persönlich käme bei so etwas eher das Wort Unwohlsein in den Sinn.
Ich meinte, solange man nicht vom Schreiben leben kann, ist es immer ein wenig anmaßend, sich Schriftsteller zu nennen, weil das auch viele tun, die nicht mal einen fehlerfreien Satz schreiben können. Aber inzwischen ist das ja kein Thema mehr. Ich lebe von meiner Schreiberei und habe dabei einfach ein besseres Feeling.
“Satans Hofnarr” und als Untertitel “Ein magisches Leben”. Das eine klingt, als würdest du die “Satan”-Sache selbst auf die Schippe nehmen, und das andere könnte sich für den einen oder anderen nicht von selbst erklären.
Weißt du, als 50-jähriger nimmt man eine Menge Dinge auf die Schippe – vor allem sich selbst. In meinem Leben findet gerade ein Paradigmenwechsel statt. In den letzten Jahren hab ich mich immer wieder dabei ertappt, die Rolle von „Deutschlands bekanntestem Satanisten“ wie selbstverständlich zu spielen und zu pflegen. Und viele haben mich stillschweigend auf diese Rolle reduziert. Das ging mir einfach auf die Senkel.
Eine Distanzierung von der „Szene“?
Szene, das ist auch wieder so ein doofes Wort. Sagen wir so: Es gibt noch eine Menge anderer Spielwiesen, auf denen es sich zu tummeln lohnt, und so alle sieben bis zehn Jahre findet bei mir erfahrungsgemäß ein Umbruch statt, so etwas wie eine innere Katharsis, die mich dann wieder um einige Schritte weiterführt. Das ist ja auch die Aussage von „Satans Hofnarr“ – hier hat nicht der Leibhaftige seine Erinnerungen geschrieben, sondern es ist ein Buch über Liebe in all ihren Spielarten, den sanftesten und den brutalsten. Deshalb ist für mich „Satans Hofnarr“ auch das wichtigste meiner bisherigen Bücher – vor allem der letzte Teil, der so etwas wie mein persönliches Credo darstellt, das sich in den vergangenen Jahren natürlich weiterentwickelt hat.
Satanismus und Liebe zu den Menschen – das werden so manche nicht unter einen Hut bringen können..
Das ist aber deren Problem, nicht meines. Dieses ganze Label- und Etiketten-Denken geht mir sowieso auf den Sack. Natürlich ist keiner von uns ein unbeschriebenes Blatt, aber manche Blätter sind so bis zum Rand vollgeschrieben, dass kein Platz mehr für einen einzigen neuen Gedanken bleibt. Nimm doch als Beispiel die Diskussion um Bärbel Mohr: Der wirft man jetzt ernsthaft vor, dass sie gestorben ist, wo sie doch die große Magierin war. Natürlich waren ihre letzten Bücher nicht mehr so toll, und ihr Roman war von vornherein eine Zumutung, und vermutlich war sie tatsächlich am Ende ihres Lateins angelangt. Aber wie singt Frank Sinatra? Life goes on in cycles. Man kann Dingen wie Liebeskummer, Leiden oder Tod nicht entgehen, nur weil man weiß, wie man Realitäten erschafft. Leben heißt Er-Leben, und gegen den Tod gibt es sowieso kein Rezept. Dieses „Stirb und Werde“, von dem auch Goethe spricht, ist es, das die Natur seit Jahrmillionen aufrecht erhält.
In „Lehrstunden bei Luzifer“ schreibst du sinngemäß: Das Leben will uns überlebensfähig machen …
Klar. Ein Tigerbaby wird auch nicht permanent von seiner Mutter gefüttert, irgendwann muss es selbst Beute reißen. Stell dir mal einen erwachsenen Tiger vor, der noch gefüttert werden muss. Wir können Wirklichkeiten gestalten, wir können aktiv in unser Schicksal eingreifen, aber die Grunderfahrungen bleiben uns nicht erspart, sonst könnten wir uns gleich in Watte hüllen und in den Schrank verkrümeln. Ich kriege Mails von Lesern, die schreiben mir: Weißt du kein magisches Rezept, damit mein Bruder mir beim Frühstück nicht mehr ins Müsli spuckt? So ähnlich jedenfalls. Was soll ich von solchen Leuten halten?
In „Satans Hofnarr“ berichtest du auch über eine Zeit, in der du Alkoholprobleme und Depressionen hattest …
Ja, weil es diese Zeit eben gab. Manche Puristen wollen einem das dann als Schwäche auslegen, aber … ja gut, sollen sie doch. Ich habe Schwächen und nehme mir das Recht heraus, einfach Mensch zu sein. Dafür weiß ich wenigstens aus Erfahrung, worüber ich in meinen Büchern schreibe.
Sowohl in „Satans Hofnarr“ als auch in den „Lehrstunden“ redest du von tiefen Erkenntnissen, die dir in den letzten Jahren gekommen sind und für dich wie ein „Erwachen“ waren.
Es war einfach der Moment, in dem etwas „Klick“ gemacht hat, und der bei dem einen früher kommt, beim anderen später, bei vielen gar nicht. Es ist nichts, womit man in der Öffentlichkeit hausieren geht. Die meisten Menschen sind viel zu mitteilungsbedürftig und gönnen sich nicht die Chance, innere Entwicklungen für sich allein zu verarbeiten. Es wird alles auf den Boulevards feilgeboten, an die Öffentlichkeit gezerrt.
Aber ist es nicht genau das, was du in deiner Autobiographie tust?
Aber erst, nachdem ich es für mich verarbeitet hatte. Ganz im Gegensatz zu Leuten, die sehen, wie ein Sonnenstrahl durch ein Kirchenfenster fällt, und dann rennen sie durch die Straßen und rufen: „Jesus hat mir ein Zeichen geschickt.“ Außerdem bin ich ja nicht ins Detail gegangen. Das ganze Buch ist so geschrieben, dass man zwischen den Zeilen lesen muss. Es besteht aus Geschichten, die ich erlebt habe, ohne dass ein Kommentar oder eine „Moral“ folgt. Es ist stellenweise sogar sehr unmoralisch, was ja auch klar ist, wenn man sein Leben nicht gerade als Tugendbold verbracht hat.
Sex scheint bei dir jedenfalls eine wichtige Rolle gespielt zu haben …
Ja, aber da bin ich vermutlich keine Ausnahmeerscheinung. Wir wollen doch alle Sex. Wobei ich nicht wie Freud der Meinung bin, dass Sex die einzige Triebkraft im Leben ist. Ich glaube, die wirklich große Triebkraft ist die Liebe. Kürzlich sagte jemand zu mir, man tue alles – also auch das, was man anderen schenkt oder gibt – immer nur aus eigennützigen Gründen. Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Es zeigt mir nur, dass der Typ, der das sagte, von Egoismus zerfressen ist. Ich wollte mich immer hingeben. Verschwenden. Aber das steht ja alles in meinem Buch.
Hast du irgendwelche Erwartungen an das Jahr 2012?
Ich mache es nicht an diesem Datum fest, aber ich glaube, die Zeit des Wandels kommt und ist bereits gekommen. Im Tao heißt es, wenn das Yang – also das Männliche – eine ungesunde Grenze erreicht, wird es durch das Yin, das Weibliche abgelöst, und umgekehrt. Unsere Welt hat sich in den letzten 40 Jahren mehr in eine kranke Polarität hineinbewegt als zuvor in Jahrhunderten. Die Gierigen und Irren haben das Ruder übernommen, und die Begreifenden wurden zu Parias und Ausgestoßenen gemacht. Glühbirnen werden aus Umweltgründen verboten, aber wenn BP einen ganzen Ozean hinschlachtet, wird nach allen Regeln der Kunst relativiert. Es ist wie in der Tarotkarte vom „Turm“ – wenn der Gipfel an Hochmut oder Scheuklappendenken oder Rücksichtslosigkeit erreicht ist, steht die Katastrophe vor der Tür.
Einige deiner Aussagen klingen schon eher nach Esoterik statt nach Satanismus im Sinne von LaVey. Sind die Grenzen so minimal oder ist es die Vielfalt, die da zum Vorschein kommt?
Ein Esoteriker bin ich sicher nicht, und was Anton LaVey dazu gesagt hätte, bleibt uns verschlossen, weil wir ihn nicht mehr fragen können. Aber ich rede ja von meiner persönlichen Haltung, und es geht mir auch weniger um Jahreszahlen oder mystische Kalender oder Prophezeiungen als um eine Einschätzung der Dinge mit Hilfe des gesunden Menschenverstands. Ich meine, Leute wie diesen ÖDP-Typen, der das Rauchverbot in Bayern durchgesetzt hat, hätte man früher einfach in die Klapsmühle gesteckt, und die Welt wäre wieder in Ordnung gewesen. Heute dürfen solche Leute bestimmen, wer was wo darf und wer nicht, und schon Zehnjährige sind gehirngewaschen, und … ich sag dir was: Wer eine einfache und klare Sprache spricht, wird gar nicht mehr verstanden. Die meisten Menschen sind zu Transferdenken überhaupt nicht mehr in der Lage. Du setzt dich an einen Kneipentisch und redest über Politik oder Religion, und sie gaffen dich an, als wärst du ein Alien. Da brauche ich keinen Maya-Kalender, um zu erkennen, dass das Herz dieser Welt verrottet.
Zurück zum Thema Schreiben: Viele Künstler haben ihre Eigenarten. Was sind deine?
Das ist schwer. Eigen-Art heißt ja nichts anderes als: Man hat eine eigene Art und orientiert sich nicht an der Art der anderen, und das sollte eigentlich die Regel sein. Aber okay, ich habe Schrullen. Zum Beispiel lebe ich völlig ohne Uhr. Die Zeit interessiert mich nicht. Ich weiß zwar, um acht Uhr schließen die Geschäfte, und ich sollte vorher dort sein, wenn ich Brötchen oder Zigaretten brauche, aber in dem alten Haus, das ich von meinen Eltern geerbt habe, sind die Uhren vor langer Zeit stehengeblieben, und ich habe sie nie wieder aufgezogen. Nur diese neumodischen Digitaldinger sind nicht totzukriegen. An meinem Computer habe ich das Ding in der rechten unteren Ecke inzwischen zugeklebt.
Wie sehen deine Tipps in Sachen Literatur aus? Was gibt es Neues, das du unbedingt und ohne Wenn und Aber empfehlen würdest?
Schon seit vielen Monaten lese ich wieder verstärkt alte Sachen. Es gab eine Zeit, da hatten Bücher einfach mehr Seele als heutzutage. Natürlich gibt es auch ein paar empfehlenswerte Neuerscheinungen. Steve Tesichs „Ein letzter Sommer“ hat mir zum Beispiel sehr gut gefallen, und überhaupt finde ich, dass die besten Romane zur Zeit von Amerikanern geschrieben werden. Aber wie gesagt, ich orientiere mich nicht so sehr an den News-Listen. Gute Geschichten sind zeitlos.
In deiner Autobiographie erwähnst du einen Roman mit dem Titel „Die Klavierbrücke“. Kannst du unseren Lesern da schon mehr Informationen zuteil werden lassen?
Leider nicht. Ich halte mich gern bedeckt, bis etwas wirklich spruchreif ist. Zumal es immer Leute gibt, die einem am Zeug flicken wollen. Aber auch mit guten Freunden spreche ich über gewisse Themen nicht, weil der beste Wein nun mal in stillen Kellern reift. „Die Klavierbrücke“ wird sich aber wie jedes Buch seinen idealen Veröffentlichungszeitpunkt suchen.
Soweit ich deine Biographie überblicken kann, hast du mehr Sachbücher als Belletristik geschrieben. Hast du außer der „Klavierbrücke“ noch etwas anderes in Arbeit, das in diese Richtung geht?
Ich will mich in den nächsten Jahren wieder vorwiegend der Belletristik zuwenden. Und noch eine Menge ausprobieren: Einen Hardcore-Sex-Thriller schreiben, ein Kinderbuch, was weiß ich. Einfach ein wenig experimentieren. Und ein paar Dinge wieder einsammeln, die mir unterwegs aus der Hosentasche gerutscht sind. An der Stelle muss ich schon wieder Sinatra zitieren: It’s the golden warm September of my years. Und gibt es einen schöneren Monat im Jahr?