Mit „Ein guter Blick fürs Böse” legt Ann Granger einen neuen Fall ihrer Krimireihe vor, die im viktorianischen England angesiedelt ist und sich um den Scotland Yard Inspector Benjamin Ross und seine Ehefrau Lizzie drehen.
Hier nun beginnt alles mit einem harmlosen Spaziergang, den Lizzie und ihr Hausmädchen Bessie unternehmen. Auf ihrem Weg treffen sie auch auf den etwas verschroben wirkenden Thomas Tapley. Dieser wohnt als Untermieter bei einer Quäkerwitwe in der Nachbarschaft und wird am nächsten Tag erschlagen in seinem Zimmer aufgefunden. Inspector Benjamin Ross übernimmt die Ermittlungen, erneut mit tatkräftiger Unterstützung durch seine Ehefrau.
Zunächst gibt es keinen Hinweis auf Mörder oder Tatmotiv, Thomas Tapley schien nicht sehr vermögend zu sein und soweit bekannt alleinstehend. Erst nach einigen zermüprbenden, weil zunächst wenig erfolgbringenden Nachforschungen offenbart sich eine traurige Familiengeschichte. Denn Mr. Tapley hatte durchaus eine Familie, sogar in London selbst, und hatte auch einen stattlichen Besitz an Ländereien.Warum also versteckte er sich als fast mittelloser Untermieter? Und vor wem?
Und wurde nicht schon vorher durch einen vornehmen Anwalt enormer Druck zur Aufklärung des Mordes aufgebaut, da geschieht ein weiterer Mord, diesmal an einem Privatdetektiv, der von einer bisher Unbekannten ebenfalls auf die Spur von Thomas Tapley angesetzt worden ist.
Erneut gelingt es Ann Granger das viktorianische England sehr farbenreich aufleben zu lassen. Insbesondere geht es hier um die enormen Standesunterschiede. Sei es der vornehme Anwalt mit Kontakten zum Adel, der alle Menschen als seine Untertanen behandelt und für den der tadellose Ruf der Familie über alles geht, oder dem ganz entgegengesetzt der kleine Straßenjunge, der es gerade so irgendwie schafft zu überleben. Dann gibt es diejenigen, die tagtäglich hart für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen.
Die krassen Gegenteile der Lebensumstände finden sich auch in der Beschreibung der Wohnviertel Londons. Hier steht zum Beispiel der vornehme Bryanston Square dem berüchtigten Hafenviertel Wapping entgegen, in dem sich vornehmlich Matrosen und zwielichtige Halunken in billigen Spelunken herumtreiben. Außerdem klingen immer wieder auch Forderungen nach mehr Gleichberechtigung der Frau an. Hierfür sorgt Lizzie, die mit wachem Verstand einige Details zum Lösen des Falles ans Licht bringt. Dennoch erntet sie dafür auch vielfach Tadel, denn die Ermittlungsarbeit sei für Damen schließlich nicht schicklich.
Interessant ist auch die kurze Beschreibung des Privatdetektivs, der in Amerika bei den Pinkertons gelernt hat.
Insgesamt ist „Ein guter Blick fürs Böse” ein durchaus spannender Kriminalroman, bei dem der Leser immer etwa auf dem Wissensstand der Ermittler ist, und so ebenfalls nur Indiz für Indiz näher an das Lösen des Falles heran kommt. Aus der mittlerweile vier Bände umfassenden Lizzie Martin/Benjamin Ross- Reihe habe ich bisher nur diesen Band und den Vorgänger („Ein Mord von bessrer Qualität”) gelesen, und im direkten Vergleich erschien mir dieser etwas einfacher zu lesen und auch spannender und schlüssiger im Aufbau. Dies liegt vielleicht aber auch daran, dass mir die Hauptfiguren mittlerweile bekannt waren. Auf jeden Fall macht auch dieser Roman wieder Lust auf weitere Fälle des Ehepaars Ross.