Wieder einmal ein Interview mit dem Autor Daniel Holbe. Gesprochen haben wir natürlich über Krimis, genauer gesagt aus der Julia Durant-Reihe und aus der Ralph Angersbach-Reihe. Bei letztgenannten ist der aktuelle Band “Schlangengrube” erschienen. Ob dieser eine Metapher oder was anderes ist, was Daniel Holbe zum 23. und 24. Band der Julia Durant-Reihe sagt beziehungsweise zum nächsten Angersbach-Roman, das erfahrt ihr hier. Und ich weiß nicht, ob ich mich zu weit aus dem Fenster lehne, glaube aber: diese Informationen gibt es zum Teil noch nirgends. Bisher. Lesen lohnt sich also. (Das Interview stammt aus Januar 2023.)

Das Jahr 2023 ist endlich da. Die letzten waren schwerfällig und 2022 war mit dem Krieg, der weiterhin anhält, auch kein besseres Jahr, wie es sich viele erhofft haben. Wie war 2022 für Dich in der Retrospektive?
2022 war für mich zunächst einmal ein Jahr mit vielen tollen Veranstaltungen. Da haben viele Menschen drauf gewartet, dass sich endlich wieder das Kulturprogramm normalisiert und entsprechend groß haben wir das auch aufgezogen. Dann hatte ich meine allererste Lesung und prompt war Krieg. Da wollte man feiern, dass man sich nach zwei Jahren endlich mal wieder zusammenfinden kann, und dann war plötzlich alles noch viel schlimmer als zuvor. Und das soll jetzt überhaupt kein Jammern auf hohem Niveau sein, denn natürlich haben wir hier bei uns ja keinen Krieg und selbst das Thema Corona ist im Laufe der Monate immer mehr ins Hintertreffen geraten. Alles in allem hat das Jahr mir vor allem eines sehr deutlich gezeigt: Wie gut wir es hier noch immer haben – und dass Frieden und Freiheit (und Gesundheit) keine Selbstverständlichkeit sind.
Der neue Kriminalroman “Schlangengrube” zusammen mit Ben Tomasson ist am 30. Dezember 2022 erschienen. Ein ungewöhnliches Datum. Hat es einen bestimmten Grund? Ich habe das Gefühl, dass eher Frühling und Herbst die Release-Zeiträume von Angersbach beziehungsweise Durant sind.
Ralph Angersbach hatte seinen ersten Auftritt im März 2013, das stimmt. Aber schon Band 2 kam dann im August. Und irgendwann bis Band 4 hat sich die Sache dann im Dezember eingependelt. Das scheint gut zu funktionieren, denn mittlerweile ist das unser fester Rhythmus. Julia Durant kommt dagegen sehr stabil immer im Spätsommer. So hat sowohl der Buchhandel als auch die Leserschaft eine gute Lücke dazwischen und der Verlag hat ja neben diesen beiden Bänden auch noch zahlreiche andere Bücher (auch Krimis), die unter die Leute gebracht werden wollen. Da kann nicht jeder Termin vor Ostern oder Weihnachten oder vor einer Buchmesse liegen. Allerdings gebe ich den ganz Ungeduldigen immer gerne den Tip, dass man ruhig eine Woche vor dem Erscheinungstermin schon in die Buchhandlung gehen und nachfragen darf. Meistens sind die Bücher ja schon eine Weile vorher da und dürfen dann natürlich auch schon verkauft werden. Ganz im Gegenteil zu Amazon („Kauft lokal“, ist die Devise!).
“Schlangengrube” ist auch ein bisschen Wortspiel, finde ich: Denn natürlich kommen diese Tiere und andere Exoten vor. Auf der anderen Seite ist es eine Metapher für eine besonders schwierige Situation. Damit ist wahrscheinlich nicht nur der Fall selbst gemeint, sondern berührt auch die persönliche Ebene von den Hauptcharakteren. Was war Dein Gedanke dahinter?
Naja, in einer Krimireihe gehört es schließlich dazu, dass auch die Hauptcharaktere sich weiterentwickeln. Das ist nicht immer einfach. Auf den ersten Blick scheint es sehr bequem, sich nicht ständig damit beschäftigen zu müssen, eine komplett neue Gruppe von Charakteren zu entwickeln. Da bleibt viel mehr Zeit, sich auf den Kriminalfall zu konzentrieren – denkt man! Mein Kollege und ich verbringen durchaus nicht wenig Zeit damit, die persönlichen Ebenen auszuleuchten. Dabei gehört auch ein Ohr auf die Leserschaft, denn jede Veränderung braucht ein gewisses Tempo. Jeder Konflikt muss nachempfindbar sein, manches darf man von einem Band ins nächste schleppen und manches eben nicht. Das geht mir bei der viel älteren Reihe um Julia Durant übrigens ganz genauso. Und so wird – auch wenn ich das erst durch Deine Frage jetzt so sehe (danke dafür!) – jedes neue Buch für seine Schöpfer zu einer Schlangengrube 😉
Apropos persönliches: Wie lange steht so eine Entwicklung wie in “Schlangengrube” bei Dir fest? Entwickelt sich das eher oder ist das grob skizziert? Eine Art “Roadmap” wie man bei Software-Entwicklungen sagen würde.
Ohne die Roadmap, den Plot, das Konzept, das Drehbuch geht beim Krimi ja gar nichts. Jedenfalls ist das bei uns so. Da muss rückwärts, von Finale bis Mordmotiv, alles durchdacht sein, weil man ja nur so die entsprechenden Hinweise und Finten einbauen kann. Klar, bunt machen und mit Leben versehen kann man das unterwegs noch, aber das Gerüst ist in der Regel ziemlich klar und verändert sich auch nicht mehr. Es sei denn, unsere Lektorin entdeckt da einen logischen Fehler. Zu zweit mit meinem Kollegen Ben ist das übrigens ein viel produktiverer Prozess und – das merke ich ja immer wieder – weitaus weniger anfällig für Fehler. Weil man eben schon beim Entwickeln über alles spricht. Das Thema wiederum, in diesem Fall der Tierschmuggel, kann einen entweder ganz plötzlich treffen (Spaziergang, Brainstorming, Zeitungsmeldung) oder schon lange gären. Bei SCHLANGENGRUBE reifte das teilweise seit vielen Jahren. Sabine Kaufmanns Pendant, das damals bei mir noch anders hieß, hat eine Hintergrundgeschichte, in der ein konfiszierter Ara vorkommt, den sie von einer Freundin zur Dauerpflege übernommen hat. Diese Freundin arbeitet am Frankfurter Flughafen in der Tierabteilung. Das hat noch nie irgendwo Erwähnung gefunden, aber jetzt war die Zeit einfach reif für dieses Thema.
Und bezüglich feststehen: Im August wird der 23. Roman aus der Julia Durant-Reihe erscheinen. Wie viel Material hat eigentlich Andreas Franz angesammelt und wie groß ist Dein Einfluss auf den Inhalt? Irgendwann hören die angefangenen Manuskripte auf und die grob skizzierten Geschichten werden immer gröber – oder?
Oha! Das ist ein ganz wichtiger und auch ein hochsensibler Punkt, über den ich mich leider immer wieder ärgern muss. Das ist jetzt aber nicht persönlich gemeint! Als ich damals in die Reihe einstieg, gab es durchaus schon Beispiele von Autoren, von denen posthum Werke veröffentlicht wurden. Prominentes Beispiel ist Robert Ludlum, den lese ich selbst gerne. Wie schön war es für mich als Leser, dass auch nach seinem Tod diverse Reihen fortgeführt wurden. Allerdings glaubt einem weder jemand, der das Verlagswesen kennt, noch andere Autorenkolleginnen und -kollegen, noch mancher kritische Fan, dass man als Autor unendlich viele Manuskripte in seinem Schreibtisch bunkert und man sich aus diesem Füllhorn bis in alle Ewigkeit bedienen kann. Wer so etwas als Marketing betreibt, der lügt. Klingt hart, ist aber so. Und wurde durchaus auch so gemacht. Mein Verlag und ich haben in der Sache Julia Durant vom ersten Tage die klare Absprache, dass wir das nicht machen. Die Sache war ganz klar: TODESMELODIE ist der einzige begonnene Krimi von Andreas Franz. Aus dem Material machte ich ein fertiges Buch und schon der nächste Krimi stammte einzig und allein aus meiner Feder. Das soll jetzt auch gar keine Selbstbeweihräucherung sein, denn ich habe mir gerade in der Anfangszeit mehr als einmal gewünscht, dass da noch ein bisschen mehr Material wäre. Doch außer seiner Witwe, die mir sehr viele Informationen geben konnte und mit der ich die neuen Projekte auch durchgesprochen habe, gab es da leider nichts. Genau das haben wir auch sehr deutlich kommuniziert – sowohl der Verlag als auch ich. Denn es war doch klar, dass ich irgendwann mit eine der Bücher auf der Bühne stehe und dann solche Fragen kommen, wie viel davon aus Andreas Franz‘ Feder stammt. Und ich bin vielleicht ein Geschichtenerzähler, aber Vorlügen hätte ich da niemandem etwas können. Deshalb diese klare Linie, und ich bin heute froh, dass wir das so gemacht haben. Mir stehen deshalb sämtliche Haare zu Berge, wenn ich da etwas anderes lesen muss. Und man gestatte mir diesen kleinen Seitenhieb: Als Autor muss ich ja für jede noch so kleine Ungenauigkeit in meinen Büchern den Kopf hinhalten. Es wäre schön, wenn mancher Pressebericht mit demselben Anspruch recherchiert und geschrieben würde! Da lese ich – 12 Jahre nach Andreas Franz‘ Tod! – noch immer solche Dinge wie: „Er starb völlig unerwartet, hat aber seinen Freund Daniel Holbe mit dem Fortsetzen seiner Reihe beauftragt.“ – Das spricht ja leider für sich, oder?
Kurzum: Andreas Franz ist und bleibt der Urheber dieser Krimireihe, die so vielen Menschen, auch mir, ans Herz gewachsen ist. Als Urheber wird auch sein Name immer mit Julia Durant verbunden sein und das Cover zieren. Aber ich bin es, an den die Fälle herangetragen werden, der daraus eine Geschichte um die Kommissarin webt und der sie dann am Tag der Manuskriptabgabe geschrieben hat.
Was kannst Du denn zum 23. Durant-Roman erzählen – vielleicht abweichend zu den Infos, die es schon gibt?
So richtig viel darf ich da noch nicht zu sagen. Aber vielleicht lasse ich einfach mal die Infos, die man im Netz finden kann, links liegen und erzähle eine kleine Anekdote: In Frankfurt steht ja das Alte Polizeipräsidium, in dem Julia Durant einst ihren Dienst in JUNG, BLOND, TOT begann, noch immer leer. Zwanzig Jahre mittlerweile und nach einer teils legalen, teils illegalen Weiternutzung ist es nun ein waschechter Lost Place mitten in der Stadt. Man kann sogar Führungen buchen, Fototouren oder Begehungen mit ehemaligen Kriminalbeamten. Große Kriminalfälle wurden dort bearbeitet und zum Teil auch ziemlich verhunzt. Das mag jeder selbst recherchieren. Irgendwann im Sommer werden dann wohl die Abbrucharbeiten beginnen, vielleicht sogar zeitgleich mit Erscheinen des neuen Buches. Aber einen letzten großen Vorhang, einen wichtigen Auftritt, ein spektakuläres Finale wird das Alte Präsidium noch bekommen. In DER DOPPELTE TOD. Freut Euch drauf!
Wenn ich an unsere letzten Interviews denke: Da hast Du schon während des Interviews am nächsten Roman gearbeitet. Der 23. Fall ist wahrscheinlich schon grob bis vollständig fertig. Folglich hat Deine Arbeit am nächsten Angersbach-Fall begonnen. Kannst Du schon grob “teasen”? Nimmt Angersbach das erwähnte Angebot in “Schlangengrube” an?
Haha, ich werde mich hüten, etwas Inhaltliches zu spoilern! Allerdings habe ich eine wirklich riesige Neuigkeit zu verkünden, etwas, was ich so noch nie gemacht habe und was ich jahrelang abgelehnt habe: Der kommende Band mit Ralph Angersbach und Sabine Kaufmann wird eine Crossover-Geschichte werden! Sabine wird also auf ihre ehemalige Kollegin Julia Durant treffen und die Ermittlungen werden sich zwischen dem ländlichen Vogelsbergkreis und dem städtischen Frankfurt abspielen. Also überall dort, wo ich mich verbunden fühle und physisch verbunden wird das Ganze durch den Fluss Nidda, der im Vogelsberg entspringt und in Frankfurt mündet. Das Thema Wasser wird also eine nicht ganz unbedeutende Rolle spielen. Ein Thema, das ich seit dem Hitzesommer 2018 machen will und dass uns im Dürresommer 2022 schon praktisch überholt hat. Und auch hier wieder ist es ein immenser Vorteil, dass Ben Tomasson und ich das zusammen machen. Mit einem zweiten Team und damit auch zwei Tatorten sowie zwei Gruppen von Akteuren (ich will da jetzt nicht zu viel verraten), würde ich das alleine so gar nicht schaffen. Aber da reden wir dann gerne beim nächsten Mal drüber 😉
So, die nächsten Worte gehören ganz Dir. Ich bedanke mich für ein weiteres Interview. Platz ist hier für Lesungen und Ankündigen oder zusätzliche Teaser. Auf den 24. Roman beispielsweise. Wahrscheinlich ist der auch grob im Anfangsstadium.
Ich glaube, das Wichtigste für alle Fans ist, dass es den 24. Roman geben wird. Im Sommer 2024. Denn auch wenn ich in den sozialen Medien immer darauf hinweise, wenn neue Buchverträge gemacht werden und dass ein Ende meiner Krimireihen nicht in Sicht ist, taucht diese Frage öfter mal auf. Vielleicht gerade bei Bänden, wo das Ende einem das Gefühl gibt „oh, das war’s jetzt – oder?“ Aber ich halte es da wie James Bond: Julia Durant will return! Und Ralph Angersbach natürlich auch.
Was mir an dieser Stelle aber besonders am Herzen liegt, ist etwas ganz anderes. Über die Weihnachtsferien ist ein sehr wichtiger Mensch von uns gegangen. Christine Steffen-Reimann, die Grand Dame im Sektor der Spannungsromane bei Droemer Knaur. Es ist die Person, die einst (als kein anderer das Potential sehen wollte) Andreas Franz und Julia Durant eine Bühne geboten hat. Und was für eine Bühne das war – und immer noch ist! Ohne Christine würden wir weder dieses Interview führen, noch gäbe es TODESMELODIE oder auch SCHLANGENGRUBE. Vielleicht wäre ich auf ewig in der Versenkung ungelesener Schriftsteller geblieben, vielleicht genau wie dann auch Andreas Franz und so unzählig viele andere. Christine hat mich vom ersten Tage an in die Krimi-Welt meines Verlags geführt und war über elf Jahre lang meine wichtigste Begleiterin bei jedem neuen Buch. Durch diese Nähe und Vertrautheit wurde sie mir viel mehr als nur eine Kontaktperson im fernen Verlagshaus. Wir haben so viele Erinnerungen gesammelt, berufliche wie auch private Erfolge und ebenso auch schwierige Phasen überstanden. Wir haben einen Platz 1 auf der Spiegel-Bestseller-Liste gefeiert, haben uns im Urlaub auf Rügen getroffen, haben uns auf vielen Buchmessen gesehen und waren mit den Kindern Alpaka-Wandern. Und immer wieder war sie ganz am Puls der Leserschaft, wenn wir neue Geschichten ausloteten. Ihr Verlust schmerzt mich sehr.