Schon im Jahre 2017 bekam ich die Möglichkeit, Belgrad zu hören und für mich zu entdecken. Das selbstbetitelte Album empfand ich gut. Eine kurzfristige Ankündigung für das zweite Studioalbum Ende April 2024 überraschte mich dann doch. Jetzt komme ich endlich dazu diese Platte zu hören und frage mich beim Titel: Lysis in Platons Sinne? Oder Lysis als Auflösen einer Zelle? Die Epilog und der Prolog lassen ersteres vermuten (beides übrigens von Jürgen Vogel gesprochen). Für zweiteres votiert die Stimmung auf der Platte bei rund 75 Minuten, der Themenwahl. Wie die Info schreibt Songs über “Isolation, Verzweiflung, Wünsche und zutiefst menschliche Geschichten”. Es musizieren für sie: Hendrik Rosenkranz, Lev Leopoldowitsch und Stephan Mahler. Mittlerweile also nur noch ein Trio.
Nachdem “Epilog” folgt das erste Stück “Rachel & Joseph” – ein fast siebenminütiger Epos von bedrückender Stimmung und Inhalt. Den letzterer basiert auf einem reellen Ereignis. Rachel und Joseph wanderten in Joshua Tree umher, verliefen und verloren sich und zogen eine andere Lösung dem Verdursten vor. Wer das in längerer Form nachlesen mag, klicke hier.
“Markt fressen Seele” ist hingegen nicht kryptisch, sondern recht gut als Kritik am Markt, am Kapitalismus und an vielen mehr zu verstehen. Das Gegenteil ist bei “Leben den Lebenden” der Fall. Kryptisch aber gut.
In “Schwanensee” kommt erneut die bedrückende Atmosphäre zum Tragen und das Stück wird mittendrin noch unterbrochen durch eine gesprochene russische Passage, nur um sich dann wieder bahn zu brechen. Der Track “WSW” ist ein weiteres Beispiel für ein todtrauriges Stück. Hier werden nicht die Weihnachtslieder besungen, aber sie sind Teil des Signals, welches sagt: schon wieder 365 Tage meines Lebens vorbei.
Auch in den restlichen Stücken geht es um (erfolglose) Suche (“Die weiße Mühle”) oder um Einsamkeit in “Eine kurze Geschichte der Einsamkeit II”, die durch einen Bruch herbeigeführt wurde und nicht aus freien Stücken gewählt wurde. Beispielsweise Tod, Krieg, Krankheit.
Das traurig-bedrückende ist der rote Faden im Konzept von “Lysis”. Eine Auflösung einzelner Zellen aber auch ein Dialog. Wenngleich auch ein schwermütiger. Die Platte ist ein schwerer Brocken, nichts für die sommerliche Jahreszeit. Eigentlich. Vielleicht aber auch gerade dann dafür geeignet gehört zu werden, weil dann kein zusätzliches Gewicht während einer winterlichen Melancholie am Bein hängt. Ein famoses Stück Musik.
Belgrad – Lysis – 2LP/DIG (zeit064)
VÖ-Datum: 26. April 2024
- Prolog
- Rachel & Joseph
- Markt fressen Seele
- Leben den Lebenden
- Schwanensee
- WSW
- Eine kurze Geschichte der Einsamkeit II
- Stahl
- Die weiße Mühle
- Verdammter Fleck
- Agnetha
- Albtraum
- 40Grad
- Epilog