Wenn man sozusagen zwischen zwei Stühlen aufgewachsen ist und sowohl die alte und die neue Schule in Sachen Literatur kennt, dann gerät man – wie ich – oftmals in die Zwickmühle. Von meiner Mutter her kenne ich ganz alte schnulzige Konsalik-Bücher, von meinen ersten Büchereibesuchen die altbewährte Krimi-Literatur wie Sherlock Holmes, Miss Marple und wie die Charaktere alle heißen.
Heutzutage spannende Literatur zu finden ist nicht einfach, und ich bin auf Grund meines hohen Konsums an Büchern auch nicht unbedingt schnell zu befriedigen. Wenn dann aber ein Buch auf meinem Tisch landet, das die Gratwanderung von Gefühlen wie Liebe, Trauer, Freude und Spannung beherrscht und mich und meine Gefühlswelt taumeln lässt wie einen Zirkuskünstler auf dem Hochseil, dann heißt das nur eines: gelungen.
So erging es mir in diesen Tagen mit Oliver Fehns neuem Roman „Die Klavierbrücke“, erschienen im Pandämonium-Verlag. Die Geschichte von einem Jungen, der die Fähigkeit hat, Menschen an ihren Schritten zu erkennen, und zwar auf der morschen alten „Klavierbrücke“. Als eines Tages ein Mord geschieht, ist es der Junge, der den Täter erkennt. Und der Großteil des Dorfes, der ihm keinen Glauben schenkt.
Sein Vater ist verstorben, seine Mutter lebt in der nächstgrößeren Stadt, und so bleiben dem Jungen nur sein bester Freund Wolfi und seine schrullige Großtante Lissi. Irgendwie trostlos und dennoch verständlich, dass man dann eine solche Fähigkeit entwickelt.
Oliver Fehn hält die Balance zwischen oben erwähnter alter und neuer Literaturschule, aber auch zwischen anspruchsvoller und Kriminalliteratur, und „Die Klavierbrücke“ – obwohl neu – ist für mich jetzt schon ein Klassiker, und zwar ein äußerst gelungener. Wer sich dieses Buch entgehen lässt, ist selbst schuld, denn es bereichert ungemein. Weisheiten, im Wechsel mit spannenden, lustigen, liebevollen, traurigen und freudigen Momenten. Für mich das Über-Überraschungs-Ei unter den Neuerscheinungen der letzten Jahre.
Oliver Lippert