Du hast geschrieben, die „Klavierbrücke“ sei der wichtigste Roman deines Lebens überhaupt. Wie ist das zu verstehen?
Es war der Versuch, Dämonen auszutreiben – wobei ich nicht weiß, ob mir das gelungen ist.
Es geht in der Geschichte um einen Jungen, der die Bewohner eines Dorfes an ihren Schritten auf einer morschen Brücke erkennt. Wer sind nun die Dämonen?
Ich nehme in dem Buch des öfteren Bezug auf L. Frank Baums „Wizard of Oz“. Ich habe den Film als kleiner Junge mindestens fünfzehn Mal gesehen. Ein Mädchen namens Dorothy wird von einem Wirbelsturm in das Fantasieland Oz getragen, in dem der Kampf zwischen Gut und Böse tobt, und sie weiß nicht, wie sie aus diesem Vakuum, aus dieser hermetisch abgeriegelten Welt wieder zurück in das Land kommen soll, wo ihre Heimat ist und das sie liebt. In Oz schließt sie drei Freundschaften – mit dem Blechdosenmann, der Vogelscheuche und dem Löwen. Aber sie muss sich von allen dreien trennen, um zu begreifen, dass sie die roten Schuhe, die sie zu ihrer Flucht braucht, schon immer getragen hat.
An dieses Motiv knüpft mein Buch an. Nur geht es hier nicht um ein Mädchen namens Dorothy, sondern einen namenlosen Ich-Erzähler. Er hat als Kind New York gesehen, seine Mutter stammt von dort, und er will wieder nach New York zurück, ist aber dazu verdammt, in einem verschlafenen fränkischen Nest zu leben, wo die Uhren völlig anders gehen. Die Dämonen, das sind die Traumata, die er dort erleidet: Der Tod geliebter Menschen, der drohende Verlust des besten Freundes – das verruchte Dorf fordert ein Opfer nach dem anderen. Aber ich will nicht zu viel vorwegnehmen.
Ist die Geschichte autobiografisch?
Sagen wir so: Die Charaktere sind teilweise von meiner eigenen Wirklichkeit inspiriert. Aber es ist ja ein Roman und keine Autobiografie, und was davon nun wirklich passiert ist und was nicht, darüber will ich lieber schweigen.
Vorne im Buch steht, auf dem Cover sei die „echte“ Klavierbrücke zu sehen. Es hat sie also wirklich gegeben?
Ja, als ich ein Kind war. Meine Mutter war es, die mir all die rätselhaften Geschichten von dieser Brücke erzählte, aber erst nach vielen Jahren kam ich auf die Idee, einen Roman daraus zu machen. Heute gibt es die Brücke in der alten Form nicht mehr – man hat sie renoviert und geteert, und das alte Flair, das ich in meinem Roman zu übermitteln versuche, existiert nicht mehr.
War es schwer, einen Verlag für den Roman zu finden?
Ja und Nein. Ich hatte eine Leseprobe davon ins Autorenportal eines Publikumsverlags gestellt, aber denen war die Geschichte zu unkonventionell, weil sie sich in kein Genre einordnen ließ. Ein anderer großer Verlag, dem ich das Manuskript geschickt hatte, zeigte sich interessiert, wollte aber eine völlig andere Geschichte daraus machen. Aber ich bin da nicht sehr kompromissbereit. Da war mir der kleine Verlag, der nicht auch nur ein Wort an meinem Manuskript verändert hat, weitaus lieber.
Wie lange hast du an dem Buch geschrieben?
Gefühlte hundert Jahre. (lacht) Nein, also es waren zweieinhalb Jahre, inklusive Überarbeitung, Reifungsphase und Neu-Überarbeitung. Hätte man mich nach Stundenlohn bezahlt, wäre ich jetzt ein reicher Mann.
Was meinst du mit Reifungsphase?
Ich stecke jedes fertige Manuskript erst mal für ein Vierteljahr in eine Schublade und arbeite während dieser Zeit an etwas anderem. Nach dieser langen Pause entdeckt man plötzlich Fehler und Ungereimtheiten, die einem zuvor nie aufgefallen sind.
Ist das nicht ein sehr mühsamer Arbeitsstil?
Ja, aber wie heißt es? Ohne Fleiß kein Preis. Und die Rezensionen, die ich bisher bekommen habe, fand ich schon sehr erfreulich.
Natürlich steckt man in ein Buch oft viel rein, das von den wenigsten Leuten beim ersten Lesen auch erkannt wird. „Die Klavierbrücke“ ist ein Roman, der auch eine Menge kleiner Verspieltheiten enthält, die der eine bemerkt, der andere nicht.
Zum Beispiel?
Na, zum Beispiel die Szene mit dem Schornsteinfeger. Das ist ein Motiv aus „Mary Poppins“. Wem der Schornsteinfeger die Hand drückt, dem bringt er Glück – und genau das tut Anthony, der Kaminkehrer aus Tuscaloosa, als er den Jungs in der Kirche begegnet. Und es markiert tatsächlich den Wendepunkt der Geschichte – von dem Moment an sind sie frei und können dem finsteren Dorf den Rücken kehren.
Was steht als nächstes auf dem Programm?
Erst mal ein Band mit Stories, Gedichten und Kurzprosa aus über dreißig Jahren, den musste ich ja nicht erst schreiben, sondern nur in seinen Einzelteilen zusammenklauben. (lacht) Da ist sogar die erste und einzige Vampirgeschichte drin, die ich je geschrieben habe. Danach ein neuer Roman, der im Prinzip schon fertig ist, aber noch überarbeitet werden muss – ein Hardcore-Thriller mit ziemlich brutalen Sexszenen. Ich kann nur hoffen, dass ich meine Klavierbrücken-Fans damit nicht allzu sehr verschrecken werde.
Eine Zeit lang hast du auch Sachbücher zum Thema Satanismus geschrieben …
Ja, das war vorgestern. Die alten Bücher sind noch erhältlich, doch es werden keine neuen folgen. Ich habe mit keiner Organisation welcher Art auch immer und mit keiner in sich geschlossenen Weltanschauung noch etwas am Hut. Das ist vielleicht mein großes Glück: Dass ich zur rechten Zeit immer von irgendwoher ein paar rote Schuhe bekomme, mit denen ich aus Oz flüchten kann.
Interview: Oliver Lippert