Da denke ich mir: Ich habe noch Zeit für die Review. Die Platte wird doch nicht noch so kurz vor Weihnachten erscheinen. Im neuen Jahr schreibe ich eine Review zu Platte x, halte Ausschau nach der nächsten Platte und schaue so umher. Sehe Dritte Wahl. Ach, geil. Kann ich mal hören. “Urlaub in der Bredouille” klingt auch sehr witzig. Erinnere mich daran, was ich letztes Jahr gedacht habe (siehe zweiten Satz) und schaue, wann die Platte erscheint. 15. Dezember 2023. Mist, das ist jetzt nicht so clever gewesen und gut gelaufen. Veröffentlicht wurde das zwölfte Studioalbum über Dritte Wahl Records im Vertrieb von Indigo.
Im Spätherbst 2023 wurde die Band im Übrigen 35 Jahre alt. Was zur Hölle? Das ist schon wieder so lange her. Ich weiß noch, wie ich die zahlreichen Mailorder-Kataloge hatte. Impact Records, Amöbenklang, A.M. Music, Suppenkazpers Noize Imperium und mehr. Wenn ich an jetzt denke, war ich damals in einer anderen Art von Bredouille und jetzt seit (zu vielen) Jahren wieder. Nach Urlaub fühlt es sich nicht an.
Die Platte wird unter anderem so beschrieben: “»Urlaub in der Bredouille« ruht sich nicht auf rebellischem Pathos und schlichtem Dagegensein aus und nennt die großen Miseren unserer Zeit beim Namen: Klimakatastrophe, Reichtumsverteilung, Korruption, Wohnungsnot, Inflation, Übermacht der Konzerne und Maschinen. Das Album ist Soundtrack zum Untergang, wütender Ausbruchsversuch aus der Matrix und kreativer Mutmacher zugleich, ist ein lauter, beherzter Hybrid aus Wut, Galgenhumor, Idealismus und Klamauk.”
Statt mit einer Best-Of (hätte ich auch kein Problem mit gehabt) gibt es ein neues Studioalbum von Gunnar und Jörn ‚Krel‘ Schroeder, Stefan Ladwig und Holger H., welches zehn brandneue Songs enthält. Also, jetzt nicht mehr so brandneu. Bin ja einen Monat zu spät.
In “Wir schießen die Milliardäre ins All” gibt es ein augenzwinkerndes Gedankenspiel. In dem Track “Simulation” sucht man aufgrund der weltweiten Vorkommnisse nach einem Ausstieg beziehungsweise “findet Hilfe” in dem Gedankenspiel, dass das alles nur eine Simulation ist. Das könne man sich sonst gar nicht vorstellen, dass das alles real ist. Im Titelsong ist auch ein Feature mit Deine Cousine enthalten.
“Panama” schildert eine Familiengeschichte einer bis heute wohlbetucht Wirtschaftsdynastie. Das viele Geld wird versteckt. Währenddessen sagt uns Oxfam, dass die fünf reichsten Personen ihr Vermögen (fast?) verdoppeln konnten. In einer anderen Quelle heißt es wiederum, dass 40-60 Milliarden pro Jahr die Hungersnot unterbinden könnten. Selbst wenn es mehr sein sollte und es länger dauert, machen beiden Berichte nur deutlich, warum es Sinn ergibt Reiche zu besteuern. Zumal sie es mittlerweile, teilweise, selbst wollen. Siehe hier.
Das bereits 2022 als Single erschienene »Das regelt der Markt« ist ein wütender Abgesang auf die sichtbar bröckelnden Dogmen des Neoliberalismus. »Edwin Aldrin« gibt die tragische Biografie des zweiten Manns hinter Weltraumfahrer Neil Armstrong wieder, in »Der Spion«, gibt es ein Feature mit der Leipziger Band 100 Kilo Herz und erzählt die ulkig-fiktive Geschichte eines alkoholkranken Doppelagenten im Kalten Krieg. Dann gibt es mit »Steine im Weg« einen Steh-auf-Song für die Verzweifelten und Bemühten. Der funktioniert aber bei Depressiven nicht, denen zeigt man damit nur: Du kannst das auch (wieder) nicht. Der Abschluss kommt mit “Statistik” und behandelt genau diese Art von Datenanalyse und die vielseitigen Interpretationsmöglichkeiten der Ergebnisse.
Mit ein wenig Verzögerung habe ich mir die Platte nun auch angehört und muss sagen, sie gefällt mir außerordentlich gut. Interessanter musikalischer Werdegang (Evolution). Ich kenne die Band noch aus früheren Zeiten und hab sie damals live gesehen (ein, zweimal auf dem Force Attack). Blicke mit Wehmut auf diese Zeit zurück. Aber das ist mein persönliches Ding. Gute, interessante Platte mit guten, wichtigen Texten.